TOP GUN (OV) // 10.03.2017 | 22:45 Uhr

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TOP GUN works best as a sort of time capsule, a window into a pretty spectacular decade for big-budget filmmaking.

– J. Olson (2016), Cinemixtape

TOP GUN war die Kinosensation des Sommers 1986, die ihre Kreise weit über die übervollen Kinosäle hinaus zog. Der Musiksender MTV dudelte Berlins „Take my breath away“ rauf und runter, Fliegerjacken mit Fellkragen und Ray Ban Aviator Sonnenbrillen wurden über Nacht zu Verkaufsschlagern, die U.S. Navy erlebte einen Ansturm wie nie zuvor – der Beruf „Pilot“ war dank Tony Scotts jugendlichem Militärporno auf einmal so sexy, dass es fast weh tat.

Es kursieren unterschiedliche Legenden darüber, ob der ursprüngliche Pitch für TOP GUN einmal „STAR WARS on Earth“ oder „APOCALYPSE NOW on an aircraft carrier“ gelautet hat. Verbrieft ist jedoch, dass das Pentagon großes Interesse an einer wohlwollenden Darstellung ihrer Streitkräfte und deren militärischer Überlegenheit in Zeiten des kalten Krieges hatte und den Produzenten des Films großzügig unter die Arme gegriffen hat. Das Ergebnis, mit seinen in Sonnenuntergängen getauchten Flugzeugträgern, den mit aufpeitschender Rockmusik unterlegten Dogfights, unironisch wehenden Flaggen und ausnahmslos hübschen Gesichtern, übertraf alle Erwartungen und setzte neue Standards für das Actionkino der Achtziger Jahre.

31 Jahre später ist es kaum noch möglich, TOP GUN mit denselben unschuldigen Augen zu sehen wie das Kinopublikum des Jahres 1986. Stand Tom Cruise damals noch am Anfang seiner bis heute andauernden Karriere, hat der spätere MISSION IMPOSSIBLE-Star nach der Jahrtausendwende sowohl selbst an seinem Image gesägt, wie er auch wegen seiner Scientology-Zugehörigkeit mehrfach ins Kreuzfeuer geraten ist. Patriotisch, propagandistisch, kitschig, ein typisches Produkt der Reagan-Ära, die sich mit ein paar hübsch fotografierten Luftkämpfen selbst feiert – durchaus eine gängige Weise, wie man heute über TOP GUN denkt und spricht. Doch so sehr das auch alles stimmt, so sehr tut man Regisseur Tony Scott sowie den beiden Drehbuchautoren Jim Cash und Jack Epps Jr. damit unrecht. Denn was diese drei hinter dem Rücken von Produzenten Jerry Bruckheimer und Don Simpson sowie dem gesamten Pentagon auf die Leinwand gebracht haben, ist nicht weniger als ein subversives Meisterwerk.

Das behauptet zumindest Quentin Tarantino, der 1994 – im Jahr seines sensationellen Erfolgs mit PULP FICTION – in einem kurzen Auftritt als angetrunkener Partygast in einem kaum beachteten Low Budget-Indie namens SLEEP WITH ME als einer der ersten darauf hinwies, dass TOP GUN mit seinen systematisch angelegten homosexuellen Untertönen zuallererst als Coming Out-Drama zu verstehen ist. Wenn auch mit der Attitüde eines alkoholisierten, nicht ganz sauber zitierenden Schwätzers präsentiert, ist seine Analyse messerscharf und eröffnet den buchstäblich in the closet verborgenen Zugang zu einer neuen Dimension des Films. In dieser sind die Romanze zwischen dem jungen, übermütigen Heißsport „Maverick“ und seiner älteren Ausbilderin „Charlie“ („Charlie“! Charlie! Get it?) und die amerikanische Dominanz über die gesichtslosen Russen in ihren minderwertigen MIGs nur noch der Hintergrund, vor dem sich ein Spektakel männlicher Körperlichkeit entfaltet, an dessen Ende sich die Lippen von Tom Cruise und Kelly McGillis trotz des drohenden Kusses nicht berühren und die phallischen Flieger in der untergehenden Sonne ihre Schrauben drehen wie stählerne Turteltauben.

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Ungezügelte Männlichkeit: TOP GUN (Paramount/UIP)

Drei Jahrzehnte später sind Kritiker und Filmgelehrte sich darüber nahezu einig, dass all dies kein Zufall und keine Ergebnis mutwilliger Interpretation seitens Tarantino war: TOP GUN ist out and proud! Heute sieht man die narrativ nutzlose Inszenierung schweissglänzender Männerkörper beim Beach Volleyball, zu der Kenny Loggins sein unbeschwertes „Playing with the boys“ schmettert, und fragt sich, wie den Geldgebern der Regierung seinerzeit entgehen konnte, dass sie in Zeiten von AIDS-Krise und Homophobie ihr Militärgerät und Personal für einen zukünftigen Kultfilm des Regenbogenkinos zur Verfügung gestellt haben. Aber wie sich ja gezeigt hat, hat es ein paar Jahre gedauert, bis es überhaupt jemandem aufgefallen ist.


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FR 10.03. | 22:45 Uhr
TOP GUN (USA 1986)

OV, Regie: Tony Scott
Drehbuch:Jim Cash und Jack Epps Jr.
Originalfassung (engl.), ca. 115 Minuten
mit Tom Cruise, Kelly McGillis, Val Kilmer, Meg Ryan,
Tim Robbins, Anthony Edwards, Tom Skerritt,
Michael Ironside
Musik von Harold Faltermeyer, Kenny Loggins,
Berlin, Cheap Trick u.a.

Tickets: 7€ (5€ ermässigt)
Freie Platzwahl